Text: Laslo Seyda
Fotos: Niklas Marc Heinecke
Wilde Flüsse, intakte Wälder und unberührte Berge: Dank Kristine Tompkins verwandeln sich in Südamerika ganze Landstriche in Nationalparks. Und ihr Kampf für die Natur hat erst begonnen
Die Frau, die die Welt vor sich selbst schützt, ist kleiner als erwartet. Statt teurer Kostüme trägt sie ein einfaches Kleid aus Jersey, Leggings, keine Schuhe. Statt dicker Klunker baumelt an ihrer Halskette eine Lesebrille mit nur einem Bügel. Braune Augen, stechender Blick. Ihre Energie erfüllt den ganzen Raum. Das ist sie also: die Königin von Patagonien.
Wir stehen in der Casa Kuschel, einer weiß getünchten Holzvilla im chilenischen Städtchen Puerto Varas, anderthalb Flugstunden südlich der Hauptstadt Santiago. Das Haus, 100 Jahre alt, schmucke Erker, Zwiebeltürmchen, wirkt fast herrschaftlich, ist in Wahrheit aber die Zentrale der Tompkins Conservation – einer Stiftung, die sich dem Erhalt von Ökosystemen verschrieben hat.
Kristine Tompkins, Gründerin der Stiftung, weißblondes Haar, Grübelfalten, sieht müde aus an diesem Tag im Februar 2018. Eigentlich hat sie keine Zeit für ein langes Gespräch: Erst vor wenigen Tagen unterschrieb sie einen Vertrag, der über 400.000 Hektar ihres Grund und Bodens der chilenischen Regierung vermacht. Einzige Bedingung: Die Gebiete müssen geschützt werden. Morgen muss Tompkins schon wieder in Santiago sein, um mit den Anwälten die Übergabe ihres Reichs zu regeln. Es ist gerade ein bisschen stressig, die Erde zu retten.
Tompkins’ Geschenk ist die größte private Landspende der Geschichte. Mit den zusätzlichen 3,5 Millionen Hektar, die die Regierung Chiles im Gegenzug bereitstellt, wächst die Fläche der Nationalparks auf einen Schlag um 38 Prozent. Nebenbei ist so die Ruta de los Parques entstanden – ein lückenloses Parksystem, 2.800 Kilometer lang, über elf Millionen Hektar groß; fast dreimal die Schweiz. In einem Wort: gigantisch. „Und das ist erst der Anfang“, sagt Kristine Tompkins.
Die 67-Jährige nimmt auf dem weißen Sofa im Obergeschoss Platz. Auf dem Couchtisch liegen dicke Bildbände über Regenwälder und Pumas. Die Wände hängen voller gerahmter Fotos, Familie, Freunde, auf vielen ist ein Mann zu sehen, schlaksig, wettergegerbtes Gesicht, Cowboy-Charme, in enger Umarmung mit Tompkins. Man merkt sofort: Diese Wohnung ist von Wärme erfüllt, nicht von Wichtigtuerei.
Wer die Umweltschützerin verstehen will, muss weit zurückgehen in ihrer Biografie. Sie ist in Kalifornien aufgewachsen, auf einer Ranch südlich von Santa Barbara. Später in Venezuela, wo ihr Vater mit Öl Milliarden machte. Die junge Kris McDivitt jettet um den Globus, fährt professionell Ski, ist wunschlos glücklich. Dann, sie ist gerade mal zehn, stirbt der Vater an Polio. Die Mutter habe sie danach zur Unabhängigkeit gedrängt, erzählt sie. Ärmel hochkrempeln, Geld verdienen, schnell auf eigenen Beinen stehen.
Schon mit 15 Jahren arbeitet das Mädchen für Yvon Chouinard – einem bekannten US-Bergsteiger, mit dem sie befreundet ist und der eine kleine Firma für Kletterbedarf gegründet hat. In den Ferien putzt Kris die Karabiner im Lager, schneidet Seile zu. Während des Colleges vertritt sie den Chef, wenn der zu seinen Abenteuern ausrückt. Mit 28 wird sie schließlich Geschäftsführerin jenes Unternehmens, das Patagonia heißt und das später zu einem der größten Outdoor-Ausstatter weltweit wird – und bekannt ist für sein ökologisches Engagement.
So lernt Kristine auch Douglas Tompkins kennen. Er ist ein enger Freund von Chouinard, Kajakfahrer, Hobbypilot und Gründer der Modemarken The North Face und Esprit. Auch Douglas hat versucht, seine Kunden für Nachhaltigkeit zu sensibilisieren. Weil er aber merkt, dass die Leute endlos weiterkonsumieren, steigt Douglas aus. Er lässt sich auszahlen – und zieht sich nach Patagonien zurück. Diesen magischen Ort an der Südspitze von Chile und Argentinien. Er liebt die Granitkolosse, die sich hier aus der Erde wuchten; die tosenden Flüsse; die ewigen Gletscher; das wechselhafte Wetter, geprägt von sengender Sonne, wütenden Winden, Seen so kalt wie Eis und einem Himmel so grau und schwer wie Blei. Der perfekte Ort für einen, der Einkehr sucht.
Wenn Kristine von ihrem Doug spricht, rutscht sie auf dem Sofa hin und her, ihre Stimme wird dann ganz hell, wie bei einem verknallten Teenager. Sie sagt, er hätte etwas Wildes, etwas Unabhängiges in sich gehabt, das habe sie angezogen. 2002 besucht sie ihn auf seiner kleinen Farm in Patagonien. Aus einer Woche werden fünf. Kristine erzählt, wie Douglas mit ihr wandern geht, campen, tagelang; wie er ihr in seiner Cessna das Fliegen beibringt; wie sie sich Funkrufnamen füreinander ausdenken: „Picaflor“, weil sie, hektisch wie ein Kolibri, alles durcheinanderbringt; oder „Aguila“, weil er unantastbar über allem thront, wie ein Adler. Dann zeigt sie uns das Fotoalbum mit Tausenden Bildern des Paars; und den großen Liebesbrief, den Douglas ihr schrieb. Er ist 150 Seiten lang. „Seelenverwandte“ steht in einer Zeile.
Tompkins kündigt ihren Job und zieht zu Douglas nach Chile. „Anfangs war es nur Liebe“, sagt sie und lacht. Umgeben von der rauen Schönheit des Lands, begreift Kristine, wie sehr doch die Welt woanders aus den Fugen geraten ist. Wie Douglas denkt sie, dass Umweltschutz viel zu bürokratisch ist, dass es auch ohne faule Kompromisse mit Politik und Wirtschaft gehen muss. Wie Douglas glaubt sie, dass man manche Dinge selbst in die Hand nehmen muss. „Uns wurde klar: Zu zweit konnten wir wirklich was bewegen.“
Doug und Kris heiraten – und kaufen mit ihrem Vermögen nach und nach ganze Landestriche in Patagonien auf. Der Plan: Bäume pflanzen, Gras sähen, Zäune einreißen, bedrohte Tierarten ansiedeln – und dann der Menschheit zurückgeben.
Eine Million Hektar kommen über die Jahre zusammen, 340 Millionen Dollar investieren die Tompkins in ihren Flickenteppich aus Privatparks. Zeitgleich machen sie gegen Energiekonzerne mobil, die Wasserkraftwerke und gigantische Stromtrassen planen. Sie demonstrieren gegen Bergbaufirmen, die für Silber und Gold ganze Massive wegsprengen wollen. Sie kämpfen gegen Großfarmer, deren vieles Vieh die Steppe platt trampelt; die Holzindustrie, die die letzten nicht tropischen Regenwälder verhackstückt; gegen Lachsfarmer, die ihre Futterabfälle in die klaren Fjorde kippen.
Ihr Engagement hat Erfolg: Kristine Tompkins zeigt Bilder von den Lenga- und Ñirre-Bäumen, die heute wieder auf den Hügeln Patagoniens stehen und im Herbst ihre leuchtend roten Blätter zeigen; vom Coirón-Gras, das wieder wild in der Pampa wuchert und in der Abendsonne golden schimmert; von handtellergroßen Faltern mit orange- und lilafarbenen Flügeln; vom Huemul, dem Südandenhirsch, der noch vor wenigen Jahren als ausgestorben galt.
Der Gegenwind, der ihnen dafür in Patagonien entgegenweht, ist scharf. Bauern, Arbeiter oder Einzelhändler, die wegen der neuen Parks ihre Jobs verlieren, gehen auf die Barrikaden, malen Protestbanner, besetzen das Land, schicken Morddrohungen. Konservative Politiker behaupten, dass durch die Tompkins ganze Regionen ihre Perspektive verlieren. „Bullshit“, sagt Kristine. Natürlich wisse sie, dass Nationalparks zuerst ökonomische Einschnitte bedeuten. „Aber für jeden Dollar, den man in die Parks steckt, bekommt man das Vielfache davon raus.“ Eine Schätzung sagt, dass die Ruta de los Parques über 40.000 Jobs schafft und jährlich 270 Millionen Dollar einbringt. „Wir senken also die Arbeitslosigkeit und die Abhängigkeit vom Sozialstaat.“
Auch wenn Kristine Tompkins es nur ungern zugibt, auch wenn sie oft die besseren Argumente hat: Die Ablehnung der Leute, die Kritik geht ihr nahe. Inzwischen hockt sie mit angezogenen Knien auf dem Sofa, umklammert sie fest mit beiden Armen, wie zum Schutz. „Ich bin auf der Ranch meines Urgroßvaters aufgewachsen, ich kenne die Sorgen um sinkende Einkünfte, fehlende Arbeitskräfte, harte Winter. Aber deshalb können wir doch nicht einfach alle auf den Umweltschutz pfeifen.“
Ist das nicht eine ziemlich einfache Antwort auf eine sehr komplexe Frage?
„Vielleicht“, frotzelt Tompkins. „Ich habe mir aber abgewöhnt, es allen recht machen zu wollen. Ich kenne kein Schutzprojekt, bei dem es keinen Aufschrei gab. Aber die Natur kann sich nun einmal nicht selbst wehren.“
Tompkins ist gewappnet. Nur auf einen Kampf war sie nicht vorbereitet. Am 7. Dezember 2015 paddelt Douglas mit seinem Kajak über den Lago General Carrera. Plötzlich zieht ein Sturm auf. Die Wellen schlagen zwei Meter hoch, spülen den 72-Jährigen in die eisigen Fluten. Er stirbt an Unterkühlung. Kristine kann sich nicht einmal verabschieden.
Dieses Loch im Leben, dieser Traum in Trümmern. Was macht das mit einem? Kristine Tompkins schaut eine Weile aus dem Fenster, als würden die Quellwolken, die draußen vorbeiziehen, ihr eine Antwort in den Himmel schreiben. „Dougs Tod war das Schlimmste, was ich mir vorstellen konnte“, sagt sie. „Er hat mir aber auch eine ungeahnte Wut und Stärke verliehen. Das Parkprojekt weiterzuführen, diese unmögliche Vision, das hat mich vor dem Wahnsinn bewahrt.“
Wie es weitergeht, das ist keine einfache Frage. „Viele sehen in meiner Spende das große Finale. Aber ich mache natürlich weiter. Irgendwo wird gerade ein Wald in der Größe der Ruta de los Parques planiert, und das innerhalb weniger Tage. Es gibt jede Menge zu tun.“
Ist das nicht ein aussichtsloser Kampf?
„Schon möglich. Aber im Sommer 1989 konnte sich auch niemand vorstellen, dass schon bald die Berliner Mauer fällt. Ab und zu gibt es Kipppunkte, die die Menschheit von heute auf morgen verändern. Manchmal liegt das Undenkbare direkt vor uns.“
Bis es so weit ist, will Kristine Tompkins jede freie Minute in den Schutz der Umwelt stecken. „Die Frauen in meiner Familie werden oft 100 Jahre alt. Mit etwas Glück bleibt mir also noch etwas Zeit. Damit irgendwann vielleicht nicht nur Patagonien sicher ist, sondern jeder Berg und jedes Tal, jeder Fluss und jeder Strand, in Südamerika und überall.“ Ein noch viel größeres Königreich. Nicht für sich selbst. Für die Natur.
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